Braunschweiger Zeitung vom 11.09.2024
»Erster Schultag war eine Blackbox« –
Was Lehrerinnen erleben
Von Janina Busse
Braunschweig. Wenig Respekt, viele Aufgaben: Drei frisch gebackene Klassenlehrerinnen erzählen, welche Sorgen sie hatten – und wie sie überrascht wurden.
»Ich hatte tatsächlich ein bisschen Angst, an eine Hauptschule zu gehen«, verrät Rehab Jemili. Die 29-jährige Braunschweigerin hat erst im Juli dieses Jahres ihr Referendariat abgeschlossen und direkt nach den Sommerferien eine Klassenlehrerschaft an der Hauptschule Sophienstraße übernommen. Aber: »An Herausforderungen wächst man«, ist sich die frisch gebackene Lehrerin einer 5. Schulklasse sicher.
»Vor allem Hauptschulen eilt oft der Ruf voraus, dort würden Aggressivität und soziale Schwäche herrschen. Vor diesem Ruf hatte ich Respekt«, erklärt sich Jemili. »Meine Hoffnung war wiederum: Wenn ich mich respektvoll gegenüber den Schülern verhalte, dann werden sie sich auch mir und unseren gemeinsamen Regeln gegenüber respektvoll verhalten.«
Und ihr Plan ging auf. Rehab Jemili wurde positiv überrascht, wie sie mit freudigem Glanz in den Augen berichtet: »Die Schüler waren und sind weder aggressiv noch respektlos.« Natürlich gebe es hier und da Streitigkeiten, die habe die Lehrkraft aber auch während ihres Referendariats an einer Braunschweiger Realschule erlebt. Zudem hebt Jemili Schulprojekte wie das »Klassentraining« zur Zusammenführung der Klassengemeinschaft oder das »Sozialtraining« bei Konflikt- oder Aggressionspotenzial hervor. »Ich war direkt begeistert, wie viele Angebote dieser Art die Hauptschule Sophienstraße bietet – das ist nicht an jeder Schule so.«
Zum ersten Mal Klassenlehrerin: Stimmen aus Braunschweig-Wenden
Auch Leonie Weiß und Helen Schmidtberg sind in diesem Schuljahr zum ersten Mal Klassenlehrerinnen. Die beiden Braunschweigerinnen sind am Lessinggymnasium in Wenden beschäftigt. Die 29-jährige Leonie Weiß ist nach dem Referendariat geblieben und direkt als Klassenlehrerin in Jahrgang 7 gestartet. Helen Schmidtberg, 30 Jahre alt, hat ihr Referendariat bereits im Sommer 2023 abgeschlossen und arbeitet seitdem am Lessinggymnasium. Jetzt ist sie erstmals für eine 10. Klasse verantwortlich.
Genau wie Rehab Jemili hatten die beiden erst einmal Respekt vor der neuen Aufgabe. »Ich habe einen ganzen Berg organisatorischer Herausforderungen vor mir gesehen«, beschreibt Leonie Weiß ihre Gedanken vor dem Start. Natürlich sei im Studienseminar vorbereitend schon mal darüber gesprochen worden, welche Aufgaben damit einhergehen, Klassenlehrer zu sein. »Doch der Ablauf der ersten Schultage war für mich im Vorhinein eine Blackbox – dahinter stand für mich ein großes Fragezeichen. Meine erste Vollzeitstelle samt Klassenlehrerschaft – da wollte ich souverän wirken.«
Doch sämtliche Sorgen waren schließlich unbegründet, erklärt sie. Direkt am ersten Schultag seien die Lehrerinnen durch Schulleitung und Kollegium mit einem ganzen Paket an organisatorischen Dingen und Informationen versorgt worden: von der Schulordnung über verschiedene Erlasse bis hin zu Elternbriefen.
Herausforderungen der Klassenlehrerschaft: Aufgabenfülle und Elternarbeit
Auch die junge Hauptschullehrerin Rehab Jemili sah die große Aufgabenfülle, die eine Klassenlehrerschaft mit sich bringt, als Herausforderung: »Ich hatte im Referendariat maximal 12 Schulstunden, jetzt sind es 27.« Jemili unterrichtete damals ausschließlich ihre Studienfächer Deutsch und Geschichte – auch in Vertretung. »Da in der 5. Klasse besonders viel Beziehungsarbeit gefragt ist, unterrichte ich jetzt plötzlich vier unterschiedliche Schulfächer an einem Tag. Das erfordert noch zusätzliche Vorbereitung.« Da wurden zu Beginn auch die Abende und das Wochenende zusätzlich für die Vorbereitung genutzt, »um nicht ins Strudeln zu kommen«. Inzwischen nutzt Jemili täglich jeweils rund zwei Stunden direkt nach dem Unterrichtsende zum Vorbereiten, berichtet sie.
Ein weiteres großes Fragezeichen stand für Rehab Jemili hinter der Frage, worauf beim ersten Elternabend alles zu achten ist. »Im Studium wie auch im Referendariat bekommt man hauptsächlich Unterrichtsinhalte vermittelt. Alles ist sehr theoretisch. Das Thema wurde nur kurz angerissen.« Elternkontakt »zu üben« sei der jungen Lehrerin vor ihrem Start kaum möglich gewesen. »Ich wusste: Elternarbeit ist wichtig. Aber nicht, was das alles mit sich bringt«, sagt sie. Jemili habe dafür »gute Tipps« vom Kollegium bekommen. »Für mich ist die Atmosphäre im Kollegium einer der wichtigsten Faktoren. Der Stress rund um das Arbeitspensum ist ein anderer, wenn die Kollegen dir freundlich begegnen und Hilfe anbieten.«
Ähnliches bestätigen die Gymnasiallehrerinnen. »Wir hatten gerade die ersten Elternabende – da hat sich im Vorhinein die eine oder andere Traube im Lehrerzimmer versammelt und das schlauste Vorgehen diskutiert«, sagt Leonie Weiß. Und ihre Kollegin ergänzt: »Klassenlehrerschaft ist ganz viel learning by doing. Wir haben das große Privileg, ein Kollegium zu haben, das viel teilt und sehr ansprechbar ist.«
Die allererste Unterrichtsstunde: Erfahrungsbericht aus Braunschweig
Aber wie war sie denn nun, die erste Unterrichtsstunde? »So richtig Unterricht war’s nicht – und das war auch gut so«, berichtet Rehab Jemili. An der Hauptschule Sophienstraße konnte sie die erste Schulwoche nach den Sommerferien, die »Willkommenswoche«, komplett für die Eingewöhnung nutzen: »Ich habe eine 5. Klasse bekommen, die Kinder sind selbst neu an der Schule, haben das große Gebäude gesehen – wir haben es gemeinsam erkundet.« Die junge Lehrerin entwickelte dafür eine Rallye, so konnte sie sich gleich selbst mit dem neuen Arbeitsumfeld vertraut machen. »Das war wirklich schön – ein entspanntes Kennlernen, bei dem die Kinder gar nicht gemerkt haben, dass ich neu im Beruf bin.«
Besonders im Gedächtnis geblieben ist Jemili der allererste Moment vor der Klasse, »als ich realisiert habe, was ich alles beachten muss«, sagt sie mit Ehrfurcht in der Stimme. »Klassenregeln sind zum Beispiel nicht einfach da – die müssen entwickelt werden. Im Ref bin ich in Klassen gekommen und da waren bereits Regeln. Diesmal war ich am Zug.«
Die Klassenregeln gemeinsam mit den Kindern zu entwickeln, war der jungen Klassenlehrerin sehr wichtig: »Denn die Schüler sind immer ganz stolz, wenn es die eigenen Regeln sind. Und ich habe direkt gemerkt, die halten sie dann auch gerne ein.« Aber natürlich müsse man als Lehrkraft auch darauf achten, dass man die Regeln, die man gerne erfüllt haben möchte, mit einbringt.
Was es bedeutet, Klassenlehrerin zu sein: Braunschweigerinnen geben Einblick
Leonie Weiß und Helen Schmidtberg vom Lessinggymnasium wirken etwas weniger emotional bei ihren Antworten auf die Frage nach der ersten Unterrichtsstunde: »Da man im Ref tatsächlich ständig vor neuen Klassen steht, war es gar nicht so besonders«, erzählt Weiß. Nichtsdestotrotz sei bereits jetzt nach wenigen Wochen schon eine Bindung entstanden.
So geht es auch Hauptschullehrerin Rehab Jemili: »Mittlerweile kommen die Kinder morgens rein und begrüßen mich herzlich – teilweise sogar mit einer Umarmung. Das freut mich, denn ich denke, sie fühlen sich wohl – und das sollten sie«, sagt sie. »Wenn man irgendwo eine so lange Zeit am Tag verbringt wie in der Schule, dann ist es wichtig, dass man sich wohlfühlt.« Die Stimmung im Klassenraum ist entscheidend für den Zugang zu den Schülern und den Unterrichtsverlauf, da ist sie sich sicher. »Ich wünsche mir, dass wir alle einen sicheren Hafen bei uns in der Klasse haben.«
Kommunikation zwischen Lehrkraft und Eltern: Transparenz als Schlüssel
Und wenn es mal ans Durchgreifen geht? »Das funktioniert tatsächlich nur bedingt«, erklärt Rehab Jemili von der Hauptschule Sophienstraße. »Gerade bei Kindern mit sozial-emotionaler Förderung halte ich gerne Rücksprache mit den Eltern und das habe ich auch schon getan.« Jemili hole sich von den Eltern gerne Tipps, um besseren Zugang zu den Kindern zu finden. »Transparenz und Kommunikation auf Augenhöhe mit den Eltern, aber auch den Kindern, sind für mich wichtig.« Das habe bisher gut funktioniert. »Und damit ist nicht gemeint, in jeder Fünf-Minuten-Pause irgendwo zu Hause anzurufen.«
Das Lessinggymnasium nutzt eine Online-Schulorganisationsplattform, zu der auch die Eltern Zugang haben. »Damit ist die Schwelle, um mit ihnen in Kontakt zu treten, eine ganz andere als zu unserer Schulzeit«, erläutert Helen Schmidtberg. »Wir haben so die Möglichkeit, schnell zurückzumelden, was läuft gut, was läuft nicht so gut. Die Kommunikationswege sind kurz, der Elternkontakt in jedem Fall enger als früher. Das ist natürlich auf der anderen Seite auch mehr Arbeit, vor allem verglichen mit einer Fachlehrkraft, aber es zahlt sich aus. Man kommt nicht erst in Kontakt, wenn’s brennt.«
Alle drei Lehrerinnen sind sich einig: Der Lehrerjob ist ein Beruf, den man mit Herz machen muss – ein guter Beruf.
»Es ändert sich definitiv etwas, wenn man Klassenlehrkraft ist – im positiven Sinne. Man ist plötzlich erste Ansprechpartnerin, erste Instanz bei Problemen kleinerer Art«, erklärt Helen Schmidtberg. Und ihre Kollegin erklärt: »Die Schülerinnen und Schüler kommen auch in der Pause zu mir – berichten vom Tag. Ein schönes Gefühl.«